Karte 2: Gegenwärtige Verbreitung des Familiennamens Rettl in Deutschland ( drei Einträge)
Die Frage nach der räumlichen Herkunft eines Familiennamens hat zum Ziel, dessen Heimat ausfindig zu machen. Es geht also darum, wo der Familienname ursprünglich gebildet und gegeben wurde und wo er sich über gewisse Zeit entwickelt hat. Je nach Umständen kann man die Gegend oder gelegentlich sogar den Ort finden, wo die Namenbildung stattgefunden hat. Hinweise zur Bestimmung der räumlichen Herkunft liefern sowohl die gegenwärtige als auch, in besonderem Maße, die historische Verbreitung. Dort, wo ein Familienname besonders häufig vorkommt, lohnt es sich oftmals, nach der Heimat zu suchen. Außerdem verraten die mundartlichen Besonderheiten des Familiennamens dem Namenforscher, woher er stammt.
Der Familienname Rettl erscheint in den aktuellen Datenbeständen 70-mal in Österreich und ist damit eher selten. Pro Eintrag ist von durchschnittlich 2,8 und somit von insgesamt rund 200 Namensträgern auszugehen. Der Faktor 2,8 berücksichtigt die statistische Durchschnittsgröße einer Familie in Österreich und die Personen, die nicht im Telefonbuch aufgeführt sind. Die Kartierung (Karte 1) zeigt mehrere kleine Zentren, am größten ist die Namendichte in Kärnten in den Bezirken Villach Land, Klagenfurt Land und Hermagor. Im benachbarten Deutschland sind nur drei Träger des Namens im Allgäu verzeichnet (Karte 2).
Karte 1: Gegenwärtige Verbreitung des Familiennamens Rettl in Österreich (70 Einträge), statistische Daten Stand: 31.10.2005
Die Namensvariante Retl tritt mit 21 Einträgen noch seltener auf, auch die Verbreitung des Namens weicht etwas ab (Karte 3). In Deutschland lässt sich nur ein Eintrag in München ermitteln.
Karte 3: Gegenwärtige Verbreitung des Familiennamens Retl in Österreich (21 Einträge), statistische Daten Stand: 31.10.2005
Die heutige Verbreitung eines Nachnamens kann sehr aufschlussreich für die Lokalisierung seiner Entstehungsregion sein, da Familiennamen trotz der neuzeitlichen Mobilität häufig im Ursprungsgebiet verharren. Diese Konstanz wird vor allem durch die Flucht- und Vertreibungsbewegungen am Ende des Zweiten Weltkrieges aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten durchbrochen. Um solche und andere neuzeitliche Wanderungsbewegungen berücksichtigen zu können, ist es notwendig, Hinweise auf das historische Vorkommen des Namens zu erlangen. Als Quellen dienen in erster Linie überregionale genealogische Datenbanken und Telefonverzeichnisse wie das Reichstelefonbuch von 1942.
Dieses erfasste flächendeckend etwa 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reichs einschließlich des Sudetenlandes und Österreichs, stellt also eine durchaus nützliche Quelle für die Ermittlung der Namenverbreitung zu dieser Zeit dar. Hierin sind vier Träger des Namens Rettl aufgeführt, und zwar in Innsbruck (Tirol) sowie in Kärnten, nämlich in Villach und Klagenfurt (Karte 4). Retl weist einen Eintrag in Böhmisch Leipa (heute tschechisch Ceska Lipa) im Sudetenland auf.
Genealogische Datenbanken liefern mehrere Belege des Familiennamens Rettl im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Mehrzahl der Namensträger lebte im Raum Hermagor im heutigen Bundesland Kärnten.
Karte 4: Historische Streuung des Familiennamens Rettl nach den Daten des Reichstelefonbuchs von 1942 (vier historische Belege)
Während die räumliche Herkunft lediglich die Frage nach dem Wo beinhaltet, umfasst die sprachliche Herkunft zugleich die räumliche und die zeitliche Dimension, es geht also um das Wo (in welcher Sprache) und Wann (in welcher Sprachstufe). Die sprachliche Herkunft erweist sich unter anderem auch deswegen als eine ganz wesentliche Komponente eines Familiennamens, weil Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen vor der Herausbildung von Nationalstaaten oftmals neben und miteinander lebten. In einem Ort konnten also zum Beispiel Menschen leben, die Deutsch und andere, die Sorbisch als Muttersprache sprachen. Die räumliche Herkunft würde hier bei deutschen und sorbischen Familiennamen übereinstimmen, erst die sprachliche Herkunft scheidet den Charakter der Namen. Die Sprachstufe, das heißt die Entwicklungsetappe der jeweiligen Sprache, gibt darüber hinaus den Bildungszeitraum des Namens an.
Typische Kennzeichnungen der sprachlichen Herkunft eines Familiennamens sind etwa „mittelhochdeutsch" oder „frühneuhochdeutsch" (Weiteres dazu im Glossar). Im Falle der Entlehnung eines Familiennamens aus einer anderen Sprache (beispielsweise aus dem Sorbischen ins Deutsche) stimmen der gegenwärtige sprachliche Status (beispielsweise deutsch) und die sprachliche Herkunft (beispielsweise sorbisch) nicht überein. Grundlage für eine fundierte Ermittlung der sprachlichen Herkunft sind aussagekräftige historische Belege für den Familiennamen. Ohne diese bleibt vieles im Vagen.
Aus dem Abgleich der heutigen wie historischen Verbreitungsdaten ergibt sich, dass der Familienname Rettl im oberdeutschen Sprachgebiet entstanden ist. Es handelt sich damit um einen Namen hochdeutscher Herkunft. Als Hochdeutsch wird die Gesamtheit der Dialekte bezeichnet, die ursprünglich südlich einer Linie Düsseldorf -Kassel -Magdeburg -Frankfurt/ Oder (Benrather Linie) gesprochen wurde. Nördlich davon beginnt das Niederdeutsche. Das Hochdeutsche setzte sich ab dem 16. Jahrhundert auch dort allmählich als Standardsprache durch und verdrängte das Niederdeutsche (Plattdeutsche) überwiegend.
Der hochdeutsche Sprachraum lässt sich entlang einer Linie Speyer -Wertheim - Gersfeld / Rhön - Schmalkalden - Plauen in einen mitteldeutschen Dialektraum im Norden und einen oberdeutschen im Süden unterteilen. Zum Oberdeutschen zählen neben den in Bayern, Österreich und ursprünglich in Teilen Böhmens gesprochenen bairischen und österreichischen Dialekten ferner die alemannischen und ein Teil der fränkischen Mundarten. Die mitteldeutschen Dialekte lassen sich in Westmitteldeutsch (z.B. Rhein-, Mosel- und Mittelfränkisch) und Ostmitteldeutsch (z.B. Thüringisch, Obersächsisch und Schlesisch) unterteilen.
Der wissenschaftlich greifbare Beginn eines Familiennamens besteht in seiner Bildung. In diesem Moment wird sichtbar, welchen Namen der Namengeber gebildet hat. Wir können daraufhin ermitteln, wie er ihn gebildet hat, das heißt, wir wissen dann, über welche Struktur der Name verfügt. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die ursprüngliche Form, der Wortbildungstyp (zum Beispiel Konversion, Zusammensetzung, Ableitung), die zugrunde liegenden Wortbildungsmittel (etwa Appellative, Adjektive, Suffixe) und die ursprüngliche Bedeutung des Namens. Über diese ursprüngliche Bedeutung können wir in gewissem Maße Einsichten in die Motivation der Namenbildung erlangen. Bildung und Bedeutung der Familiennamen verraten uns wiederum einiges über die Namenträger sowie die Namengeber und deren Motive.
Der Familienname Rettl kann unterschiedlich erklärt werden. In jedem Fall ist er in einen Namenstamm Rett- und das Suffix -l zu trennen. Dieses entwickelte sich aus einer älteren, genauer althochdeutschen, Form -ilo und prägte sich in den deutschen Mundarten unterschiedlich aus: im Alemannischen wurde es zu -li und -le, im Ostfränkischen zu -la und -le, in den mitteldeutschen Mundarten zu -el und in den Mundarten Bayerns, Österreichs und Böhmens zu -l. Es wurde überaus häufig an Rufnamen angefügt, wie Hänsel (aus Johannes) und Gretel (aus Margarethe) stellvertretend zeigen, zählte aber auch in der alltäglichen Sprache zum Allgemeingut.
Der Stamm Rett- kann mit alt- und mittelhochdeutsch rōt 'rot' verbunden werden. Auszugehen ist dabei von einer ursprünglichen kosenden Namenform Röttl (Karte 5), die mundartlich zu Rettl verändert wurde. Die Verbindung der Namenformen beruht auf dem Zusammenspiel von Rundung und Entrundung. Als Entrundung wird die in zahlreichen Mundarten verbreitete Entwicklung von /ü/ zu /i/, /ö/ zu /e/ und /eu/ zu /ei/ bezeichnet. Hier wird dünn als /din/, König als /kenich/ oder Kreuz als /kreits/ gesprochen. Aus Röttl konnte eine mundartliche Namenform Rettl werden, die sich in dieser Gestalt verfestigte und letztlich so schriftlich fixiert wurde.
Ausgehend von der Wortbedeutung rōt 'rot' ist der Name als sogenannter Übername zu erklären.
Karte 5: Gegenwärtige Verbreitung des Familiennamens Röttl in Österreich (neun Einträge), statistische Daten Stand: 31.10.2005
Diese Übernamen wurden Menschen zumeist aufgrund von geistigen, charakterlichen oder äußerlichen Merkmalen verliehen. Daneben verweisen einige auch auf bestimmte Lebensumstände - wie zum Beispiel die Geburt-, auf Abhängigkeits- und Dienstverhältnisse oder auf einmalige Begebenheiten. In den Übernamen, die auf ursprüngliche Neck- und Spottnamen zurückgehen, spiegeln sich vielfach verschiedene menschliche Schwächen wider, man vergleiche deutsche Familiennamen wie Wunderlich für den Sonderbaren oder Launischen, Klump( e) für den Dicken oder Groben und Hahn für den Angeber oder Streitsüchtigen.
Im vorliegenden Fall ist in erster Linie von einer Benennung nach den roten Haaren des ersten Namensträgers auszugehen. Übernamen aufgrund der Haarfarbe oder -form sind in allen Sprachen ausgesprochen häufig. So kennen wir im Deutschen Namen wie Geelhaar oder Gelbhaar für den Blonden, Weißhaupt, Schimmelhaupt, Weißkopf und Schwarz, Schwarze, Schwartzkopf für Personen mit weißem beziehungsweise schwarzem Haar sowie Rodekopp oder Fuchs für rothaarige Menschen. Rossi ('der Rothaarige') ist beispielsweise der häufigste italienische Familienname. Nicht ganz ausgeschlossen werden kann auch eine Benennung nach einer rötlichen Hautfarbe, z.B. im Gesicht.
Eine zweite Deutungsmöglichkeit basiert auf einer Rufnamenform Ratilo. Hierbei handelt es sich um eine Koseform zu Namen wie Ratbold, Rathard, Ratfried oder Ratmund. Solche Koseformen wurden im Familien- oder Bekanntenkreis verwendet, ähnlich wie man heute verwandte oder befreundete Menschen namens Matthias, Stefanie oder Friedrich verniedlichend als Matze, Steffi oder Fritz bezeichnet. In die aus zwei Namengliedern zusammengesetzten Vollnamen gingen vor allem Begriffe aus dem Bereich des Krieges, der Tierwelt oder der Religion ein. Die eigenständigen Bedeutungen der Namenglieder waren teils sinnvoll aufeinander bezogen wie beim Namen Friedrich aus althochdeutsch fridu 'Friede' und althochdeutsch rīhhi 'reich'; teils wurden sie mechanisch kombiniert wie in Frieder zu althochdeutsch fridu 'Friede' und heri 'Heer'. Diese sinnfreien Zusammensetzungen entstanden dadurch, dass die Bedeutung der Namenglieder nach und nach nicht mehr verstanden wurde. Aber auch die Beliebtheit bestimmter Namenglieder sowie Nachbenennungen im Kreis der Familie (zu vergleichen wäre Heribrand, Vater des Hildebrand, Vater des Hadubrand) ließen eine Vielzahl an Rufnamen entstehen.
Das Erstelement Rat- der genannten Vollnamen geht auf althochdeutsch rāt 'weiser Rat, Entschluss' zurück. An den Stamm trat die bereits behandelte Koseendung -ilo, die für die Umlautung des Stammvokals /a/ zu /e/ sorgte: aus Ratilo wurde so zunächst Retilo, später dann - aufgrund der im gesamten deutschsprachigen Raum einsetzenden Nebensilbenabschwächung - Ret(e)le und Retl (ferner auch Rätl, bis hin zu Rettl.
Es handelt sich bei Rettl in diesem Fall um eine patronymische Bildung, die in der Regel auf den Namen des Vaters zurückgeht. Patronymische Benennungen entwickelten sich aus der im Mittelalter üblichen Identifizierung der eigenen Person über die Zugehörigkeit zur Familie. Der Familienname Rettl bedeutet in diesem Zusammenhang soviel wie 'der Sohn/Angehörige des Ratilo, Retl'.
Die dritte Deutungsmöglichkeit steht mit dem im Rufnamen enthaltenen Wort rāt 'weiser Rat, Entschluss' in Verbindung. Hierzu gehört auch mittelhochdeutsch rāt 'Ratgeber, Ratmann'. Der Familienname kann somit als ursprüngliche Bezeichnung für eine Person verstanden werden, die anderen Menschen beratend und unterstützend zur Seite stand. In erster Linie ist hierbei an einen Amtsnamen für einen Ratgeber zu denken. Die dem Rat einer Stadt angehörenden Personen wurden zumeist als Ratsherren bezeichnet, aus zahlreichen Quellen ergibt sich aber, dass die Ratsherren auch als Ratgeber bezeichnet wurden: somit kann auch ein Ratgeber Mitglied des Rates einer Stadt gewesen sein. Die Stadträte setzten sich aus der privilegierten städtischen Bevölkerung zusammen. Sie bildeten das politische Führungsgremium und Verwaltungszentrum einer Stadt und stellten die Vertretung des Stadtherren dar. Daneben waren Ratgeber vor allem als Berater einer weltlichen oder kirchlichen Herrschaft und juristischer Berater bei Gericht tätig.
Die Amtsnamen zählen zu den Berufsnamen, stellen innerhalb dieser Kategorie jedoch eine eigene Gruppe dar, da sie sich nicht auf einen bestimmten, meist handwerklichen Beruf, sondern auf den Stand oder ein Amt des Erstbenannten beziehen, wie etwa die Namen Richter, Vogt, Amtmann, Meier, Schultheiß/Schulze, Kästner oder Hof(f)mann.
Vereinzelt kann der Name aber auch im privaten Umfeld vergeben worden sein. Jemand, den man in einer dörflichen oder familiären Gemeinschaft häufiger um Rat fragte, konnte diesen Beinamen in ehrender Weise erhalten. Denkbar ist allerdings auch, dass der Beiname in spottender Absicht vergeben wurde, für jemanden, der ungefragt und aufdringlich seinen Rat beisteuerte. In diesem. Fall handelt es sich erneut um einen Übernamen. Neben Rettl (hier aus Rätl) lassen sich unter anderem die Familiennamen Rat(h), Ratgeb, Ratgeber und Beratewohl auf die Ratgebertätigkeit oder die Eigenschaft des jeweils ersten Trägers zurückführen.
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